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Türme

AUF DEM NORD-TURM DER ST. JOHANNISKIRCHE
Die beiden Türme von St. Johannis sind das Wahrzeichen der Stadt. Sie ruhen auf einem massiven, zweigeschossigen Unterbau, dem sog. Westwerk, und ragen ca. 65 Meter hoch über Göttingen. Der Nordturm trägt die Türmerwohnung (s. u.), der Südturm die Turmuhr.

 Die Türme sind das ganze Jahr besuchbar (Anfrage an das Gemeindebüro).

Jeden Samstag gibt es eine Führung um 12:30 Uhr mittags. Gruppen melden sich bitte im Gemeindebüro an.


Nord- und Südturm sind achteckige Doppeltürme. Dieses architektonische Merkmal wiederholt sich in den Säulen der Kirche. Der Unterbau ist aus romanischer Zeit. Anfang des 14. Jh. wurden auf den Westriegel der Kirche Türme und Glockenhaus aufgesetzt. 

Beide Türme sind historisch von der Stadt genutzt (und wohl auch unterhalten) worden. Der Südturm zeigte „die Zeit der Stadt“ an, er ist ein Glockenturm mit zwei Glocken. Die Stundenglocke ist aus dem Jahr 1389 (Tonhöhe fis), die Viertelstundenglocke ist von 1819 (mit Tonhöhe a).

Der Nordturm war Wachturm. Franz Kerl war der letzte amtierende Türmer der Stadt bis 1921. Fast 530 Jahre lang gab es Turmwächter der Stadt Göttingen auf dem Turm. 1393 erfolgte erstmals die Ernennung eines Turmwächters durch die Stadt. 

Ab 1921 wurde die Türmerwohnung die höchste Studentenbude der Stadt. Die Studenten wohnten mietfrei, mussten aber regelmäßig die Turmstube für Besucher öffnen.

In der ehemaligen Türmerwohnung wohnten mindestens zwei später bedeutende Persönlichkeiten: Arthur von Hippel, als erster Mieter, später Materialforscher und Mit-Entwickler des Radars (*1898 Rostock, +2003 Newton bei Boston, Massachusetts) und Walter Scherf, bekannter Märchenforscher (*1920 Mainz, +2010 München).

Am 6. November 1921 bezog die Akademische Gilde die Türmerwohnung. Im Turmbuch haben sich der Theologe Karl Barth und der Begründer der geisteswissenschaftlichen Pädagogik, Hermann Nohl, eingetragen. 

Aus der Zeit von 1921 bis 2001 berichtet ausführlich das Buch „Die Türmerwohnung von St. Johannis“ von Jörn Barke, Göttinger Tageblatt. Das Buch ist im Gemeindebüro erhältlich. 

Nachdem 2001 die ersten Steine auf den Kirchplatz fielen, war klar: es muss saniert werden. 2005 wurden die Türme aufwändig restauriert. Als das Werk fast abgeschlossen war, wurde der Aufbau des Nordturms durch Brandstiftung völlig zerstört. Der ganze Turmaufbau wurde daraufhin erneuert, was in relativ kurzer Zeit bis zum November 2005 fertig gestellt wurde. 
Nun haben wir eine kleine Kapelle aus Lehmziegeln im Turm, die für Andachten genutzt wird. Der Altartisch ist aus dem roten Wesersandstein neu hergestellt. Steinmetze und Zimmerleute, die nach der Brandstiftung hier weiterarbeiteten, haben die Gegenstände auf dem Altartisch gestiftet. Sie haben aus den noch brauchbaren Resten Kreuz und Kerzenleuchter aus dem vorherigen Sandstein und den Sockel des Kreuzes aus dem alten 800jährigen Eichenholz gearbeitet.
Aussicht: Natürlich bietet der Nordturm einen wunderbaren Blick über die Stadt Göttingen. Im Norden und Süden öffnet sich das Leinetal, im Osten über das Kirchenschiff erhebt sich der Göttinger Wald, im Westen sehen Sie die Ausläufer des Weserberglandes und des Solling. Gut zu sehen sind die verschiedenen Kirchen der Stadt. Ganz dicht sind die vier evangelischen Kirchen: St. Jacobi, St. Albani und St. Marien. St. Nikolai (ohne Turm) ist heute Universitätskirche. Auch die katholischen Gemeinden Paulus und St. Michael sind zu sehen. Die Kirchengemeinde St. Johannis arbeitet heute eng mit den Nachbargemeinden und der Ökumene zusammen.

Eine Besonderheit bietet der Nordturm darüberhinaus: Jeden Samstag spielt unser Turmbläser Marten Bock um 11 Uhr Choräle vom Turm in die Stadt herab. Schon mancher Besucher hat sich gefragt, von wo diese Klänge stammen. In ganz Norddeutschland gibt es nur noch wenige Turmbläser und so sind wir dankbar, dass Herr Bock dies zuverlässig seit vielen Jahre zur Ehre Gottes tut.

Anhang:

Die erste elektromagnetische Telegraphenleitung wurde auf dem Nordturm zwischen Sternwarte und dem damaligen Physikalischen Kabinett am Papendiek von Carl Friedrich Gauß und Wilhelm Weber experimentell erprobt.

Die zwei Kupferdrähte führten von der Sternwarte (dem magnetischen Observatorium) zum Accouchierhaus am Geismartor, zur Universitätsapotheke, dem nördlichen Turm der St. Johanniskirche und zum Endpunkt, in die alte Bibliothek in der Prinzenstraße, das damalige physikalische Institut.

Die Entfernung zwischen den beiden Endpunkten beträgt in der Luftlinie fast genau einen Kilometer. Weber sendete am induktiven Geber und Gauß beobachtete den Ausschlag des Empfängers. Dies ist bis heute ein weltberühmtes Experiment: der elektromagnetische Telegraph von 1833.

Carl Friedrich Gauß war Professor der Astronomie (1807) und Direktor der Sternwarte, ein deutscher Mathematiker, Geodät (Landvermessung) und Physiker. Er wurde 1777 in Braunschweig geboren und starb 1855 in Göttingen. Sein Grab ist auf dem alten Albani-Friedhof am Wall zusehen.

Wilhelm Eduard Weber war Professor der Physik (1831) und ist einer der Pioniere der elektrischen Messtechnik. Er verlor sein Amt im Dezember 1837 zusammen mit sechs weiteren Professoren (die Göttinger Sieben). Er wurde 1804 in Wittenberg geboren und starb 1891 in Göttingen. Sein Grab kann auf dem Stadtfriedhof besucht werden.